Im Juni 2011 nutzen wir für unsere Radtour erst einmal die Bahn. Drei Mal umsteigen bis Lübeck, eine lange Strecke im IC von Mannheim bis Hamburg – wunderbar. Der Bahnhof Mannheim hat schließlich Aufzüge. Mit genügend Zeit klappt das Umsteigen mit viel Gepäck. Der Schwarzwald ist da doch noch deutlich abgehängt. Ein Laufband ist nicht die erste Wahl für ein bepacktes Rad.
Start in Lübeck Unser vorgebuchtes Hotel ist spitze, super Frühstücksbüffet. Enttäuschend ahnungslos zeigt sich dagegen die Beraterin bei der Informationsstelle für Touristen. Wir finden selbst den besten Weg aus der Stadt hinaus. Den Rest erfahren wir an der Ampel von einem anderen Radler. Es gibt schmale, aber immer parallel zur Straße geführte Radwege. So werden die Autofahrer weniger von den lahmen Radfahrern behindert. Uns ist es recht. Bald erscheint eine Hinweistafel. Auf jener bei Lübeck steht: „Hier war bis zum 9. November 1989, 22.30 Uhr Deutschland und Europa durch die Grenze geteilt“. Von dieser Trennung ahnt man zunächst nichts mehr. Erst später fallen die schönen Alleen auf. Irgendwo steht noch ein Wachhäuschen, das den Blick über ein weites Feld ermöglicht. Erste Häuser mit Reetdach, Ortsstraßen mit Kopfsteinpflaster, ein Dorf mit 30-er Jahre Charme - willkommen im Osten.
Wie man sieht, wurde die Grenze zwischen Ost und West nicht überall am 9. Nov. 1989 geöffnet.
Gibt es hier einen Lebensmittelmarkt? Bevor wir den ersten Campingplatz an der Ostsee ansteuern, wollen wir Vorräte einkaufen. Eine Radlerin gibt uns einen guten Tipp und ihre Visitenkarte. Karin hat sich inzwischen in unser Gästebuch eingetragen und hat eine ganze Menge zu berichten. Übrigens: Das Einkaufszentrum könnte auch in den USA stehen. Groß, alles da, weit und breit sonst nicht viel.
Wismar…. …als Hansestadt einst fürs Bierbrauen berühmt, gefällt uns gut. Heute bieten Tourismus und die Holzindustrie Arbeitsplätze. Es wird Holz aus Skandinavien und Russland verarbeitet.
Auf dem Ostseefernradweg Wir schieben unsere Räder durch das Dorf Hohen (Straßenbauarbeiten) und sehen so die Reetdächer etwas genauer. Ein Einwohner unterbricht gerne das Rasenmähen, um zu erzählen. Das älteste Haus sei aus dem Jahre 1760, weiß er. Weiter nach Norden. Auf Regen folgt Sonne. Pause im Ostseebad Rerik. Noch nie haben wir so ein leckeres Fischbrötchen gegessen. Weiter: Kühlungsborn muss riesig sein. Nichts wie weg hier. Doch der Radweg durch den Wald ist mit Gepäck sehr gewöhnungsbedürftig. Schmal, Radfahrer in beide Richtungen, dazu Fußgänger und rechts daneben ein Reitweg. Am meisten tun mir die Fußgänger leid. Pompöse Einfahrt in Heiligendamm. Wir halten ehrfürchtig vor dem Grand Hotel. Ein Blick von der Seeseite wird uns nicht gegönnt. Wir müssen leider draußen bleiben. Herzlich willkommen sind wir auf dem Campingplatz Börgerende. Ein sehr hochwertig eingerichteter Platz mit super edlen und blitzsauberen Dusch- und Sanitäranlagen begeistert uns. Dazu gibt es noch Tisch-Bankkombinationen und ein idyllisches Plätzchen zum Zelten am Froschteich. Ein „Schnarch-Bär“ (zwei Zentner plus x) stört in der Nacht heftig, doch dafür können die Betreiber nun wirklich nichts. Am Morgen wird er vom Froschquaken übertönt. Wir nehmen es gelassen.
Rostock… …breite Straßen, viele Wohnblocks, eine Kirche, in deren Dachgeschoss Büros und Wohnungen eingebaut sind und Gaststätten, (Speisekarte deutsch, englisch, schwedisch).
Stresstest… Erst Kopfsteinpflaster und Betonplatten, doch dann wieder wunderschöne Alleen. Der Campingplatz in Neukloster ist alt, schon teilweise zurückgebaut. Alles ist sauber und der Preis stimmt mit 13.50 Euro auch
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Schwerin... Büschow, Jesendorf, Altschlagsdorf – welche Ruhe und dazu wunderschöne Alleen mit Sandstraße. Aufpassen, Sturzgefahr. Schwerin. Prachtvoll. Ein imposanter Dom. Ein paar einsame Demonstranten protestieren tapfer mit Megafon gegen Fluglärm und behaupten, dass sie für 4000 andere hier stünden. Über die nach französischem Vorbild beim Schloss angelegte Gartenanlage kommen wir an einem Waldklettergarten vorbei (so ein tolles Angebot- zum neidisch werden). Kurz vor dem Campingplatz Raben-Steinfeld stimmt uns ein Denkmal, das an den Todesmarsch der KZ-Häftlinge Sachsenhausen erinnert,nachdenklich.
Am Schweriner See bei Raben-Steinfeld stoßen wir auf diese Erinnerungstafel
Mecklenburg-Vorpommern… … bietet wirklich viel. Wir kommen bestimmt mal wieder. Doch eine Woche nach dem Start unserer Tour, schlagen wir nach vielen Orten, die auf „ow“ enden, unser Zelt in Gartow auf. Das liegt in Niedersachsen. Löchow-Dannenberg liegt um die Ecke. Der Campingplatz ist riesig, hat aber wohl nichts mit der Anti-AKW-Bewegung zu tun. Ein nettes Schwimmbad nebenan und dazu kurze Einblicke in die Schützenfest-Dramaturgie. Wir legen einen Pausentag ein.
Backsteingotik in Tangermünde
"Blühende Landschaften"
Die Hansestadt Seehausen ist ein Beispiel für eine Stadt mit unlösbaren Aufgaben. Viele Läden zu, kein Lokal, nur ein Niedrigpreis-Laden und zum Glück ein Wohnmobilstellplatz mit Tisch-Bankkombination. Wir können kochen und die Regenwolken ziehen weiter. Dann erreichen wir den Elberadweg. Vor Arneburg kommen wir an großen Industrieanlagen vorbei, die zum Teil abgerissen werden. Viele Übernachtungsmöglichkeiten sind belegt. Die von außen nicht so top aussehende „Alte Villa“ erweist sich innen als sehr gepflegt.
Nach einem sehr windigen und feuchten Tag (Jacke an, Jacke aus) übernachten wir in Ragötz in einer sehr liebevoll eingerichteten Pension direkt an der Fähre. Den besten Eindruck des Tages haben wir aus Tangermünde mitgenommen. Weiter an der Elbe. Wir fahren häufig auf dem Damm und können uns gar nicht vorstellen, wie das 2002 beim Jahrtausend-Hochwasser ausgesehen hat. Vom sehr vornehm wirkenden Herrenkrug fahren wir durch eine wunderschöne Allee. In Magdeburg verfranzen wir uns. Das merkt ein Passant und fragt:“ Darf ich helfen?“ Diese freundliche Einmischung bleibt uns positiv im Gedächtnis.
Ein Tag Regen mit matschigen Waldwegen, dann gleich 29 Grad. Sonne brennt. Erstmals Berge. Blick auf Salzraumhalden. Viele Windparks und Solarenergiefelder. Wir haben Sicht bis zum Brokken.
Liebevoll eingerichtete Pension an der Elbe mit Hochwassermarken
Schöne und praktische Anlagen entlang des Elberadweges laden zum Pausieren ein
Von Wiehe nach Bad Langensalza (Thüringen) Ein sehr windiger Tag mit einem anspruchsvollen Aufstieg nach Lossa. Wie gut, dass wir den beim Anblick von dunklen Regenwolken am Vorabend nicht mehr in Angriff genommen haben. Bad Langensalza hat zehn Gärten, schöne Fachwerkhäuser mit großen Eingangstoren. Es ist schon sehr viel renoviert, aber es gibt noch einiges zu tun. Wir kommen an einem sanierten, aber völlig leer stehenden Ensemble vorbei. Vermutlich falscher Standort. Richtig sympathisch war die spontane und sehr kenntnisreiche Führung, die uns in der Historischen Druckerei im Schlößchenpark geboten wurde. In der damaligen DDR war man auf naturwissenschaftliche Druckerzeugnisse spezialisiert. Nach einem Pausentag ist das Wetter auch nicht viel besser. Genau richtig für eine Besichtigung der Wartburg in Eisenach. Die Räder stehen so lange sicher abgeschlossen auf der Wiese vor dem Steigenberger Hotel.
Bei 15 Grad wird es uns warm Wollten wir wirklich auf den Rennsteig hoch? Eigentlich nicht, doch um den nächsten Campingplatz zu erreichen sind bis zu zehn Prozent Steigung fällig. Unsere Nachbarn, Camper mit Auto, leihen uns ihren Tisch. Es tröpfelt beim Abendessen, doch die Bäume halten einiges ab
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.......und jeden Morgen dampft die Espressomaschine....
Fast 100 Kilometer weiter und wir sind in Schlitz. Diesen Platz mit Schwimmbad kennen wir schon von unserer ersten Deutschlandtour, damals wurden wir von den vielen Wespen verscheucht. Im Juni plagen sie uns noch nicht. Wir genießen das Bad bei plötzlich 30 Grad und mehr… und mit uns 1000 andere Schwimmbad-Gäste.
Au Backe Ab hier werden die Tagebuchaufzeichnungen auf das Notwendigste beschränkt. Verena hat Zahnweh. Seit dem Mainstädtchen Lohr heißt Helmuts Smartphone übrigens nicht mehr „Spielzeug“, sondern Smartphone. Es ist doch sehr praktisch. Name und Ort eingeben, Zahnarzt zu Hause mit einem Fingertipp am Telefon erreichen. Nein, den Urlaub nicht abbrechen, jedoch einen Kollegen aufsuchen, lautet der Rat. Und wen? Ganz einfach. Auf Zahnärzte tippen und unter dem Ort suchen. Die erste Praxis ist gleich gut bewertet. Man sei bestens aufgehoben. Anruf, Mittwochmittag, Chef ist dran, muss aber dringend zu einem Termin. Für den Notfall gibt er seine Handynummer an. Termin am nächsten Morgen. Man ist wirklich prima aufgehoben und die Schmerzen verschwinden auch.
Auf der „Wanderbahn" kommen wir bei durchschnittlich drei Prozent Steigung ohne Autostress gut voran. In Neckarzimmern treffen wir ein Radlerpaar aus Paris. Das Smartphone meldet „DSK kommt frei“, sie wollen es erst gar nicht glauben. Nun kommen die etwas größeren Etappen. Der Neckartalradweg ist immer noch nicht so konsequent auf Fernradler eingestellt wie alle anderen Wege, die wir bislang gefahren sind. Über 100 Kilometer bis zum Wasen-Camping in Stuttgart. Hier gibt es fast keinen Zentimeter Platz mehr auf der Wiese. Eine Reisegruppe aus Ungarn und ein Sozialprojekt mit Jugendlichen aus Offenburg und Göttingen vertragen sich gut mit uns. Unglaublich, wie sehr man Rücksicht nimmt. Die Mercedes Teststrecke nervt auch nicht so sehr wie 2008. Weil es Sonntagmorgen ist, fährt kein einheimischer Radler morgens um 5.30 Uhr mit einem aufmunternden deutlich hörbaren „Aufstehen“ vorbei. Weiter bis Tübingen. Ein schöner Platz mit etlichen Niederländern, auch Fernradler im gelben Flitzer.
Von oben grüßt die Götzenburg Hornberg
Ein Paar aus den Niederlanden ist mit einem außergewöhnlichen Radgefährt unterwegs nach Italien.
Und von Tübingen schaffen wir es auch bis nach Hause. Immer dem Neckartalradweg folgen. Der hat sich in diesem Streckenabschnitt - was Ausschilderung und Wegführung anbelangt - stark verbessert. Bei Rottweil-Bühlingen wären wir beinahe einem Pfeil in die falsche Richtung gefolgt. Doch von der Brücke herunter johlt uns ein einheimischer Radler mehrmals „Hallo, Hallo“ hinterher. Für ihn ist klar, dass man mit so viel Gepäck auf dem bequemeren Neckarradweg bleiben möchte. Danke! Über den Rest schweigen wir, versuchen aber, die Entscheidungsträger zu einer besseren Lösung an einer nervigen Engstelle kurz vor dem Ziel (oder Start für Flussabwärts-Fahrer) zu bewegen.
Fazit: Eine erlebnisreiche Strecke, 1500 Kilometer. Sie bietet tolle Einblicke in neun der 16 deutschen Bundesländer.